Treffen mit unserem Präsidenten
(Tag der Deutschen Einheit, Konferenz und Großveranstaltung 5. - 8. 10. 2023)
M.R.
Das erste Wochenende im Oktober verbrachten die Egerländer aus Plachtin b. Netschetin in Prag. Ein volles Programm ab dem Donnerstag, den 5. bis zum Sonntag, den 8. Oktober: von der deutschen Botschaft Prag, übers tschechische Außenministerium bis zum Saal in der Novodvorská Str. und dem Hradschin, ein volles Programm also, welches aber Spaß machte.
Eine nette Überraschung erlebte Richard Šulko mit seiner Frau am Donnerstag in der deutschen Botschaft am Donnerstag, den 5. Oktober, beim „Tag der Deutschen Einheit:“ Als wir in den Festsaal der Botschaft kamen, glaubten wir unseren Augen nicht: neben der sächsischen Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung Katja Meier und dem Botschafter Andreas Künne stand der tschechische Präsident Petr Pavel auf dem Podium! Nach der Diskussion führte der Weg vieler Gäste in den Garten der Botschaft, wo schon ein reichhaltiges Buffet mit Kulturprogramm vorbereitet war. Das wichtigste Thema dieser Festbegegnung sind Begegnungen und Gespräche. Das erste nette Gespräch konnte Richard Šulko mit seiner Frau mit Josef Melecký aus Dt. Krawarn führen. Wir hatten uns schon lange nicht gesehen und deswegen war die Freude auch groß. Šulkos erinnerten sich an das Seminar in Konstantinsbad, wo die Brüder Melecký am Abend musikalisch begleiteten. Eine zweite interessante Begegnung war mit der Präsidentenkandidatin Danuše Nerudová. Der Höhepunkt war jedoch die Begegnung mit dem tschechischen Präsidenten Petr Pavel. Ein gemeinsames „Pflichtfoto“ krönte den wunderschönen Abend.
Im tschechischen Außenministerium…
Freitagfrüh führte der Weg ins tschechische Außenministerium, wo unter der Schirmherrschaft des Außenministers der Tschechischen Republik Jan Lipavský und der Beauftragten der deutschen Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Natalie Pawlik die Konferenz: „Identität und ihre Bedeutung für die nationalen Minderheiten“ von der „Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik“ (LV) organisiert worden war.
Nach der Begrüßung der Anwesenden durch den Präsidenten der LV, Martin Dzingel, in welcher er gleich am Anfang auch das Thema Identität anschnitt: „Manchmal muss die Identität schwer erkämpft werden,“ folgte die Videobotschaft des tschechischen Außenministers Jan Lipavský. Natalie Pawlik überbrachte die Grüße der Bundesregierung und des Bundeskanzlers Olaf Scholz. In Sache Identität erwähnte Pawlik zuerst die deutsche Muttersprache. Bei den jungen Leuten aus der deutschen Minderheit ist das Deutsche heute mehr oder weniger eine Fremdsprache. Mann soll die jungen Leute eng in die Vereinsarbeit einbinden. Auch das Thema der Verwahrlosung der deutschen Gräber in Tschechien schnitt Pawlik an. Andreas Künne, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Tschechischen Republik sprach in seinem Grußwort auch über den Schutz der deutschen Sprache im tschechischen Unterricht.
Einführungsreferate…
Durch welche Attribute wird Identität definiert? Was macht Identität aus? PhDr. Sandra Kreisslová, Ph.D. vom Institut für Ethnologie der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität in Prag und Institut für Ethnologie der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik präsentierte in ihrem Vortrag vor allem das Thema Identität und Gedächtnis. Sie zitierte auch den Tzvetan Todorov (1998): „Wir erinnern uns ´vor allem an das Gute, was wir getan haben, und das Böse, das wir erlitten haben. Unangenehme Ereignisse, deren Evokation es nicht ermöglicht, sich entweder in der Rolle des Helden oder in der Rolle des Opfers zu positionieren, geraten dagegen in Vergessenheit.“
Bei den Befragungen in Deutschland konnten die Kinder nicht viel von den vertriebenen Eltern über die Vertreibung erfahren, das war für die nämlich zu schmerzhaft. Bei den Verbliebenen gab es dagegen andere Probleme: Antideutsche Stimmung der Mehrheitsgesellschaft, Stigmatisierung, sie wurden nicht gewünscht. Diese Deutschen erlebten eine gesteuerte Assimilierung, die erst 1989 endete. Die Vertriebenen wiederum: identifizieren sich mit ihrer Heimat, die Verbliebenen mehr mit der Sprache und ihrer Identität. Die nächsten Generationen schützten die Vorfahren, vor allem die Enkelkinder. Vertriebenen sprachen über ihren Bau von neuen Häusern in ihrer neuen Heimat. Bei den Verbliebenen werden Fleiß und andere deutsche Tugenden von der Mehrheit anerkannt. Die Familie dient als Familiengedächtnis.
Der zweite Vortragende war Prof. Dr. Manfred Weinberg vom Institut für germanische Studien der Karls-Universität in Prag. Weinberg erwähnte mehrmals Franz Kafka: der beschreibt in seinem Kampf, was das ist, wenn man keine Identität hat. „Seekrankheit am festen Lande…“ Kafka ließ auch den Körper aus den Fugen geraten. Alles ist in der Verschiebung… Unterschied zur Bewertung des Jahres 1968: in Deutschland erinnerte man sich an die Revolte, in Tschechien an die Niederschlagung des Prager Frühlings. „Monolithisches Denken“ funktioniert nicht. Bei der Minderheit ist die Identität: Kultur, Glaube… Bei den Sudetendeutschen wurde die Identität geschaffen! Zuschreibungen werden als Fakten präsentiert.
Panels…
Das Panel I – „Bedeutung und Ausleben der Identität“ moderierte die Journalistin Dipl.-Pol. Barbora Procházková. In diesem Panel machten mit: Prof. Dr. Jørgen Kühl – Europa-Universität Flensburg, Richard Šulko – Bund der Deutschen in Böhmen, Tomáš Lindner – Journalist bei der tschechischen Wochenzeitung Respekt und Mgr. Jakub Štědroň, Ph.D. – Direktor des Hauses der nationalen Minderheiten in Prag.
Das Panel II – „Verlust, Wiedergewinnung und Pflege der Identität Welche Besonderheiten ergaben und ergeben sich für die nationalen Minderheiten in Tschechien? Wo stehen die Minderheiten heute? Welche Fortschritte konnten erzielt werden?“ moderierte Maximilian Schmidt – Chefredakteur des LandesEchos. Es machten mit: Dr. Marco Just Quiles – Stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland, Štěpánka Šichová – Verein für deutsch-tschechische Verständigung Trautenau e.V., Anna Kolářová – Vorsitzende der Jugend- und Kontaktorganisation JUKON und Fr. Giuanna Caviezel aus der Schweiz. Kolářová: Die jungen Menschen haben keine Notwendigkeit wegen der offenen Grenze sich als dt. Minderheit zu identifizieren. Šichová: aus der Perspektive der praktischen Vereinsführung fühle ich die Identität als „taub.“ Fr. Giuanna Caviezel stellte die rätoromanische Liga Romanscha vor, den Dachvervand in der Schweiz: „auch wir müssen für mehr Sichtbarkeit kämpfen.“ Quiles: Lateinamerika: da sind keine Minderheiten, sondern deutsche Gemeinden: Entspannte Lage. 8 Millionen Deutsche Auswanderer leben vor allem im Süden (Chile, Argentinien). 200 deutsche Kulturvereine. „Wir wissen nicht, wie wir uns positionieren sollen, außer Oktoberfest, Trachten, wir sprechen ja kein Deutsch mehr in achter Generation.“ Mit Deutschland-Bezug: über Umweltschutz, Frauenschutz, als Multiplikatoren funktionieren. Man muss selber aktiv wirken. Ganz wichtig: Unsere Rolle in Bezug zur Mehrheitsgesellschaft. Mehrwert der Minderheit präsentieren!
Kulturelle Großveranstaltung…
Für den Samstagnachmittag organisierte die LV den großen kulturellen Nachmittag. Durch das Programm führten Maximilian Schmidt und Jiřina Cvrkalová aus Mährisch Trübau. Die feierliche musikalische Eröffnung folgte zweisprachig durch die Chanson-Sängerin Svetlana Nálepková. Die Begrüßung der Gäste und das Festwort hielt Mgr. Martin H. Dzingel, Präsident der LV. An seiner Seite stand auch der Vorsitzende vom Kulturverband, Radek Novák, welcher auch die Anwesenden begrüßte. Die Grußworte der Gäste startete Frau Natalie Pawlik, Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Es folgten Katrin Bock von der Deutschen Botschaft, PhDr. Jana Gombárová, Ph.D., Kulturministerium der Tschechischen Republik und Hans Knapek mit Christina Meinusch von der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Nach den Grußworten folgte die erste kulturelle Einlage: als Gäste traten die Lausitzer Sorben, das Folkloreensemble „Wudwor” auf. Es folgte die „Schönhengstgauer Tanzgruppe“ aus Mährisch Trübau. Aus dem Schönhengstgau führte der Weg ins östliche Egerland: Die „Målaboum“ brachten zwei Volkslieder: „Auf dem Barg, da ist halt lustigh“ und „Öitza spånn i(ch meine Rösla vur ´d Kutschn.“ Eine große Schar an Kindern brachte Marie Rončka aus Hultschin mit. Mit einem lebendigen Auftritt erfreuten sie die Zuschauer. Vor der Pause folgte noch die Vorstellung des „Jukon-Fotowettbewerbes,“ welcher die deutschen Gräber beinhaltete. Die Lausitzer Sorben machten dann nach der Pause weiter, es folgte die Grundschule der deutsch-tschechischen Verständigung Prag, dessen Träger die LV ist. Für die Sudetendeutsche Landsmannschaft kamen mit ihrem kulturellen Beitrag Rosina Reim und Christine Legner aus der Wischauer Sprachinsel. Aus Südmähren wurde ein Sprung ins Riesengebirge gemacht: Kinder aus Trautenau zeigten die Geschichte „Wie lernt man Deutsch unter Rübezahls Aufsicht?“ Den Programmabschluss machte die Egerländer Volkstanzgruppe „Die Målas“ aus Plachtin bei Netschetin mit zwei Volkstänzen: „Der Böhmerwaldlandler“ und „I(ch woiß woos.“ Danach stimmte Richard Šulko noch das Lied „Kein schöner Land“ ein und die mehrstündige Veranstaltung war zu Ende. Am Abend folgte dann noch eine Tanzunterhaltung.
Prager Hradschin…
Für den Sonntag planten die Plachtiner Egerländer noch eine Erkundungstour: Richard Šulko mit seiner Frau Irene besuchten den Gottesdienst in der St. Veits-Kathedrale und die jungen Leute liefen vom Hradschin bis runter zur Karlsbrücke und dann über die Schlosstreppe wieder hoch. Die Annerl, die sich mit zwölf Jahren für die Rolle eine „Influencerin“ interessiert, wollte unbedingt das “ weltschönste“ Starbucks Coffee besuchen, welches direkt unter dem Hradschin liegt. Guter Kaffee mit einem wunderbaren Blick auf die Prager Kleinseite samt der deutschen Botschaft. Da wurden wieder Erinnerungen an die Begegnung mit dem Präsidenten wach. Die Målaboum verköstigten vor der Abfahrt auf der Prager Burg noch ein Bier, die Annerl mit ihrer Mama und Oma Irene besuchte den „Designblock“ in dem Schlossgarten, weil sich die Annerl dafür interessiert. Nach dem Mittagessen in Chiesch kamen die Egerländer wieder gesund nach Hause. Anspruchsvolle vier Tage, aber super!