Minderheitenausschuss in Karlsbad
Richard Šulko

Im Zusammenhang mit der Tatsache, dass nach zehn Jahren in der Tschechischen Republik wieder eine Volkszählung durchgeführt wird, wird das Thema „Minderheitenausschüsse“ wieder aktuell. In den Tagen 27. März bis 11. Mai 2021 wird also entschieden, wie stark neben den anderen Nationalitäten vor allem die Deutsche Minderheit 76 Jahre nach dem Krieg und nach der Vertreibung und minimal 44 Jahre Assimilierung sein wird.

 

Die Zahl der Deutschen sinkt von Jahr zu Jahr dramatisch: Während im Jahre 2001 noch 39 Tsd. Deutsche zu verzeichnen waren, waren es im Jahre 2011 knapp 19. Tsd. Die realistischen Zahlen liegen selbstverständlich viel höher: laut dem Präsidenten der „Landesversammlung der deutschen Vereine“, Herrn Martin Dzingel, könnte die Zahl der Deutschstämmigen bei etwa 50 Tsd. liegen. Aufgrund der sehr schlechten Erfahrungen der „verbliebenen“ Deutschen nach dem Krieg kann man sich nicht wundern, dass bis heute, oder aktuell wieder wie heute, die Deutschen lieber irgendwo in der Diaspora leben und sich nicht viel sehen lassen wollen. Ich selber erlebte nach der Vereinsgründung im Jahre 1991 viele Hassausbrüche gegen unseren Verein und gegen mich selber.

Nazi- Bezichtigungen

Scheinbar ist es den nationalistischen Bewegungen in ganz Europa mit der verbundenen Corona-Situation und sozialen Netzten zuzuschreiben, dass in den letzten zwei bis drei Jahren wieder Drohungen und Verleumdungen gegenüber der deutschen Minderheit auftauchen, soweit sie in der Öffentlichkeit sichtbar wird. Ich selber wurde in einem Film auf dem YouTube-Kanal vor einem Jahr als Nazi bezeichnet, als ich in den Gemeinderat  von Netschetin/Nečtiny gewählt wurde. Wenn man die Reaktionen auf den Beitrag vom Martin Dzingel  auf dem Facebook-Profil „HateFree Culture“ zur Volkszählung Mitte März 2021 liest, befinden sich einige Tschechen scheinbar heute erneut im „Befreiungskampf“ gegen alles Deutsche.

Positive Rolle der Minderheitenausschüsse

Das Recht der Angehörigen der Minderheiten in Tschechien sich in Kommissionen und Ausschüssen zu versammeln ist im Gesetz Nr. 273/2001,  §5 Kopf II gesichert.  In den Gemeinden ist das im Gesetz Nr. 128/2000 und der Novelle Nr. 845/2009 enthalten. Wenn in der Gemeinde oder im Bezirk mehr als 10% Minderheiten leben, muss ein Ausschuss gebildet werden, die Vertreter der Minderheiten müssen darin eine Mehrheit bilden. Falls die Minderheiten mehr als 5% bilden, soll auch ein Ausschuss gebildet werden, falls sich das die Minderheiten wünschen. In dem „Bericht über die Situation der Minderheiten in der Tschechischen Republik 2019“ welche auf Regierungsebene jedes Jahr veröffentlicht wird, sind dem Gesetz nach Minderheitenausschüsse in folgenden Bezirken zu verzeichnen: Hauptstadt Prag, Nordmähren, Südmähren und Karlsbad. In anderen Bezirken gibt es auch z.B. Kommissionen, die zwar nicht nach dem Gesetzt gebildet waren, aber eine ähnliche Rolle ausüben.

Vorbildlicher Bezirk Karlsbad

Neben den Bezirken sind in Städten und Gemeinden um die 40 Ausschüsse in ganz Tschechien zu verzeichnen. Im Bezirk Karlsbad sind das z.B. die Städte Eger und Asch. Es gibt aber auch Gemeinden, wo es keinen Ausschuss gibt, aber vom Gesetz her hier einer entstehen sollte. Im Bezirk Karlsbad sind es die Gemeinden: Josefsdorf bei Falkenau, Altsattel, Neusattel, Bleistadt, Abertham, Bergstadt Platten und Dotterwies. Im Bezirk Karlsbad wurde dieser Ausschuss im Jahre 2005 gegründet. Gleich in diesem ersten Ausschuss hatte ich die Ehre, die deutsche Minderheit als Vereinsvorsitzender vom „Bund der Deutschen-Landschaft Egerland“ zu vertreten. In dem Zusammenhang möchte die den Sekretär dieses Ausschusses erwähnen: Herrn Mgr. Pavel Vaculik, der mit viel Geschick und Fingerspitzengefühl die acht Minderheiten zusammenführt.

Reiche Minderheitenarbeit

Die Hauptaufgaben dieses Ausschusses sind:

- Bei der Präsentation, Toleranz, Integration und dem problemlosen Zusammenleben der verschiedenen Mentalitäten und Kulturen  behilflich zu sein

- Komplexe Lösung der Fragen um die Fragen der nationalen Minderheiten, z-B. im Karlsbader Bezirk, ihre Rechte zu schützen und Raum für die Durchsetzung ihrer Interessen und Bedürfnisse zu schaffen.

Der Minderheitenausschuss des Bezirkes Karlsbad arbeitet schon die fünfte Amtszeit (je 4 Jahre), hat 15 Mitglieder und wird von acht wichtigsten Minderheitenvertretern und sieben politischen Parteien zusammengestellt. Die Minderheiten sind: die Vietnamesische, Deutsche, Ungarische, Slowakische, Roma, Ukrainische, Russische und Mongolische.

Detaillierte Informationen

Die Vorsitzende des Minderheitenausschusses ist die Bezirksabgeordnete Frau Markéta Monsportová (Piratenpartei), Stellvertreter ist Herr Ján Čonka und Sekretär Ethnologe Mgr. Pavel Vaculík vom Bezirksamt. Als Dauergäste sind ernannt: Herr Dejan Randjelovič für den Serbischen Verein Dejan, für die Weißrussen das ehemalige Mitglied Herr Alexej Ruzhejnikau und als Kontaktoffizier Kpt. Mgr. Blanka Bláhová von der Karlsbader Polizeibezirksdirektion.

Der Ausschuss soll sich laut Arbeitsplan im Jahre 2021 fünfmal treffen, einmal beim Tag der offenen Tür im Bezirk und einmal am Tag der nationalen Minderheiten, was die wichtigste Aktion der Minderheiten im Bezirk Karlsbad ist.

Von Fotoausstellung bis Speisespezialitäten

Die Aktivitäten des Minderheitenausschusses im Bezirk Karlsbad sind reichhaltig. Nicht alle können aber jedes Jahr stattfinden, weil z.B. das Budget nicht ausreicht, manchmal steht die GDPR im Wege. Wie schon erwähnt wurde, das größte und wichtigste Projekt ist der „Tag der nationalen Minderheiten.“ An diesem kann man Tanzdarbietungen mit Musik und Gesang hören und sehen, gastronomische Spezialitäten der Minderheiten ausprobieren, Handarbeiten und Traditionen bewundern. Im Rahmen des Falkenauer Bergbaufestes oder des Internationalen Folklorefestes in Karlsbad kommen bis zu 20 Tsd. Besucher. Sehr beliebt war auch ein Foto-Wettbewerb: „aus dem Leben der Minderheiten.“ Der Ausschuss macht sich auch sehr oft (falls es die pandemiologischen Zustände ermöglichen) auf den Weg um sich vor Ort ein Bild zu machen, wie es den Minderheiten geht: Buddhistisches Zentrum am Heiligen Kreuz, Orthodoxe Kirche in Karlsbad, das Roma-Ghetto in Chodau, Muttertag in Graslitz, Begegnungszentrum der Deutschen in Eger, Brüssel, Tepl, Haus der Minderheiten in Prag u.v.m. Weiterhin werden Ausstellungen organisiert, der Ball der Minderheiten, Lesungen der Minderheiten für die Kinder. Es soll wieder der beliebte Jahreskalender der Minderheiten mit ihren nationalen Speisespezialitäten herausgegeben werden, eine Neu-auflage des Buches mit den Kindermärchen usw. Bei der ersten Sitzung konnte Richard Šulko auch auf das Thema der deutschen Gräber aufmerksam machen, sowie die regelmäßige Präsentation der Minderheiten im Bezirksmonatsblatt.

Ein wichtiges Instrument der Verständigung

Dieser Ausschuss ist ein wichtiges Instrument, um Vorurteile zwischen den verschiedensten Nationalitäten im Bezirk Karlsbad und der Mehrheitsbevölkerung abzubauen. Gerade in dieser Zeit, in der sich die Menschen bedroht fühlen und über soziale Netze ihre Frustrationen und Hass gegen  alle, die „anders“ sind, die schlimmsten Parolen verbreiten, sind diese Einrichtungen ganz, ganz wichtig. Der Dank geht an das Bezirksamt, welches dafür ein Budget hat, auch wenn es häufig an Geldern fehlt. Ein soziales Verständnis in der Bevölkerung und friedliches Miteinander bringt nämlich im Ganzen einen viel größeren Gewinn, als man mit Geld bewerten kann. Und das gilt selbstverständlich nicht nur für den Bezirk Karlsbad, sondern fürs ganze Land.